Erstmals veröffentlicht in der Ausgabe 11/22 der Deutschen Molkerei Zeitung (DMZ), veröffentlicht mit Genehmigung des Autors und des Herausgebers.
Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen. In manchen veganen Communities steht der Begriff für eine 100 % pflanzliche Ernährung. Für Menschen, die ohne Einschränkung essen, wird er gemäßigt auch so übersetzt: jeden Tag etwas weniger tierische Lebensmittel und mehr pflanzliche Lebensmittel als am Vortag. Was dauerhaft auch auf eine vegane Ernährung hinausläuft. Eine etwas offenere Definition findet Dr. Michael Greger, ein Verfechter veganer und vegetarischer Gesundheitsversprechen, in seinem populären Buch „How not to diet": Pflanzenbasiert ist eine Ernährungsweise, die pflanzliche Lebensmittel maximiert und tierische minimiert. Aber nicht vegan oder vegetarisch, sie kann es sein.
Ungeachtet der ernährungswissenschaftlich gesicherten Erkenntnis, dass jede Ernährungsweise gesund sein kann, solange sie den Bedarf an Nährstoffen deckt und nicht mehr Kalorien liefert als verbraucht werden, stellt sich die Frage, wie viel pflanzenbasierter Anteil der Nahrung global und in Deutschland faktisch vorliegt. Und welcher Anteil notwendig wäre, um die in vielen wissenschaftlichen Publikationen, Blogs, Medienbeiträgen sowie aktivistischen oder politischen Forderungen nach ,,mehr pflanzenbasierter Kost" postulierten Potenziale für Klima und im größeren Kontext für die Umwelt zu realisieren. Und weiterhin stellt sich die Frage: Ist eine pflanzenbasierte Ernährungsweise automatisch und immer klima-/umweltfreundlicher?
Dazu wird im aktuellen Diskurs aus meiner Sicht nicht ausreichend kritisch Stellung genommen, daher erfolgt hier der Versuch, einzelne Aspekte zum Thema pflanzenbasierte Ernährung anhand aktueller Daten konstruktiv und kritisch zu beleuchten.
In Medien, Ratgeberbüchern und selbst Fachbeiträgen werden immer wieder teils widersprüchliche Zahlen und Empfehlungen dazu genannt, welche Ernährungsweise am besten für das Klima sei. Dieser letzte Teilsatz beinhaltet bereits eine starke Verzerrung, denn eine nachhaltige Ernährungsweise muss nicht nur das Klima möglichst wenig belasten, sondern vor allem eine ausreichende Nährstoffversorgung durch die vorhandenen landwirtschaftlichen Ressourcen sicherstellen. Darüber hinaus müssen neben der Klimawirkung auch der Wasserverbrauch, die Landnutzung sowie die regionalen Wirtschafts- und Sozialstrukturen Berücksichtigung finden. Dafür gibt es selbstverständlich nicht die eine Ernährungsweise, die alles kann, sondern weltweit viele jeweils regional angepasste Ernährungsweisen, die unter den genannten Nachhaltigkeitsaspekten umsetzbar sein müssen.
Unsere Ernährung in Deutschland veruracht laut einer Analyse des Thünen-lnstituts insgesamt 177 Mio. t Treibhausgase im In- und Ausland. Davon werden 95 Mio. t (54 %) durch tierische Lebensmittel, 53 Mio. t durch pflanzliche Lebensmittel (30 %) und 29 Mio. t (16 %) durch Getränke verursacht. Eine Halbierung des Fleischverzehrs würde den Beitrag pflanzlicher und tierischer Lebensmittel rein rechnerisch etwa angleichen. Auch wenn pflanzliche Lebensmittel pro kg meistens eine deutlich geringere Klimawirkung haben als tierische Lebensmittel, so kommt es auf die gesamte Klimawirkung aller verzehrten Lebensmittel an. Auch Lebensmittel mit einer geringen Klimawirkung pro Kilogramm wie zum Beispiel Getränke können deshalb in Summe das Klima stark belasten, wenn wir sehr viel davon konsumieren. Sie belegen daher in der genannten Analyse anteilig den zweiten Platz in der Klimawirkung direkt hinter Fleisch. Da unsere Nahrung laut Nationaler Verzehrstudie 2 zu etwa 75 Gew% aus pflanzlichen Lebensmitteln besteht, ist bereits die genannte Halbierung des Fleischkonsums ausreichend, damit sich die Klimawirkung pflanzlicher und tierischer Lebensmittel im deutschen Ernährungsmuster angleichen. Ersatzprodukte für Fleisch oder Milch sind dazu nicht zwingend notwendig, zumal sie von der Nährstoffdichte her betrachtet oftmals sogar eine schlechtere Klimabilanz aufweisen als das Original. Somit würde zum Beispiel ein Soja-Drink bezogen auf die Nährstoffdichte dreimal so hohe Klimawirkung verursachen wie Kuhmilch, ein Hafer-Drink eine 10-mal so hohe Klimawirkung (Berechnung nach Smedman et al. 2010 und Poore & Nemecek, 2018).
Unsere Ernährung in Deutschland benötigt laut Thünen-Analyse insgesamt 38 Mio. ha Landfläche im In- und Ausland. Davon werden 18 Mio. ha (47 %) durch pflanzliche Lebensmittel, 13 Mio. ha durch tierische Lebensmittel (30 %) und 7 Mio. Hektar (18 %) durch Getränke verursacht. In Deutschland stehen nur rund 16 Mio. ha landwirtschaftliche Nutzfläche zur Verfügung, von denen nur 9 Mio. ha zum Anbau von Nahrungspflanzen für die menschliche Ernährung infrage kämen. Aktuell werden laut statistischem Bundesamt jedoch nur rund 4 Mio. ha für Nahrungspflanzen und 5 Mio. ha für Futtermittel genutzt. Doch selbst ohne Anbau von Futtermitteln würde also die Anbaufläche für pflanzliche Nahrungsmittel aus regionaler Erzeugung nicht ausreichen. Die immer wieder anklingende Forderung nach "mehr pflanzenbasierter" Ernährung lässt diese Betrachtung außer Acht. Die Folge wäre tatsächlich ein noch höherer Import aus dem Ausland, wo bereits jetzt Land- und Wasserressourcen für die Erzeugung unserer Lebensmittel belegt sind, die der dortigen Bevölkerung dienlich wären. Tierische Lebensmittel für den deutschen lnlandkonsum ließen sich dagegen vollumfänglich auch in Deutschland erzeugen. Derzeit werden allerdings rund die Hälfte der in Deutschland erzeugten tierischen Lebensmittel exportiert und nahezu die gleiche Menge für den lnlandkonsum wieder importiert.
Für unsere Ernährung in Deutschland werden laut statistischem Bundesamt (Umweltökonomische Gesamtrechnung) insgesamt 93 km3 Wasser verbraucht. Dazu tragen tierische mit 56 km3 (60 %) und pflanzliche Lebensmittel mit etwa 37 km3 (40 %) bei. Hier sind Regenwasser und Frischwasser für die Bewässerung enthalten. Da wir aktuell aber ein Flächendefizit von 15 Mio. ha für die pflanzliche Lebensmittelerzeugung zur deutschen Ernährung haben, wird ein Großteil der pflanzlichen Lebensmittel nach Deutschland importiert, aus Regionen, wo teilweise zu wenig Niederschläge fallen und daher künstliche Bewässerung notwendig ist. Laut einer Studie des WWF, die 2021 veröffentlicht wurde, beträgt der Anteil pflanzlicher Lebensmittel am Frischwasserverbrauch eines Deutschen daher 82 %. Fleisch und Wurst tragen zu 11 % bei, Milch und Milchprodukte zu nur 6 %. Vegane Ernährung, also zu 100 % pflanzliche Ernährung, würde den Wasserverbrauch laut der Studie im Vergleich zur aktuellen sehr fleischhaltigen Ernährungsweise in Deutschland sogar nochmals um insgesamt 55 % steigen lassen. Diese Analyse deckt sich ebenfalls mit den umweltökonomischen Gesamtrechnungen des statistischen Bundesamtes. Eine erste Schlussfolgerung lautet daher: Pflanzenbasierte Ernährung in Deutschland ist nicht per se umweltfreundlich, es kommt auf den Erzeugerursprung an.
Weltweit werden laut FAO (AQUASTAT) 70 % des Frischwasserverbrauchs für die Landwirtschaft verwendet. Dieser Mittelwert beträgt allerdings eine Spannweite zwischen 81 % in Asien und 25 % in Europa, was in einschlägigen Medien nicht erklärt wird. In Europa liegt das Spektrum zwischen 57 % in Südeuropa und 5 % in Westeuropa. In Deutschland beträgt der Anteil der Landwirtschaft am Frischwasserverbrauch laut Umweltbundesamt sogar nur 1 % . Aus diesem Grund sind so wohl regional erzeugte tierische als auch pflanzliche Lebensmittel aus Deutschland keine Wasserverschwender.
Eine deutsche Ernährung mit mehr pflanzlichen Lebensmitteln, ob nun pflanzlichen Lebensmitteln, pflanzlichen Kalorien oder Protein, bedeutet also nicht weniger Wasser- und Landverbrauch, sondern das Gegenteil. Sie bedeutet auch nicht automatisch eine geringere Klimawirkung, wie der folgende kontinentale Vergleich zeigt. Der höchste Anteil pflanzlicher Kalorien oder pflanzlichen Proteins in der Ernährung ist laut FAO (FAOSTAT) mit 92 % bzw. 78 % in Afrika zu finden. Ein Mensch verursacht dort etwa 2,8 t Treibhausgase pro Jahr durch seine Ernährung. In Europa beträgt der Anteil pflanzlicher Kalorien laut FAO (FAOSTAT) 72 % und der Anteil pflanzlichen Proteins 43 %. Ein Europäer verursacht aber nur 2,4 t pro Jahr (Quelle: Crippa et al., 2021). Es kommt dabei auf die Effizienz der Lebensmittelkette an, nicht kategorisch auf den Anteil pflanzlicher Lebensmittel in der Ernährungsweise. Eine saubere Ökobilanzierung muss Verbrauchsmengen und -muster einbeziehen sowie die Technologie- und Umwelteffizienz, um die gesamte Umweltwirkung abbilden zu können (Frischknecht, 2020). Daran scheitern eindimensionale Einordnungsversuche, die allein die Klimawirkung pro Kilogramm Lebensmittel darstellen. Ebenso verzerren Darstellungen die Umweltwirkung, die sich nur auf 1.000 kcal oder ein kg Protein beziehen, da, wie weiter oben gezeigt, die gesamte Nährstoffdichte eines Lebensmittels in die Bewertung einbezogen werden muss.
Als eine Ernährungsweise, die für Mensch und Planeten gesund sein soll, wurde 2019 die sogenannte „ Planetary Health Diet" veröffentlicht (Willet et al, 2019). Sie empfiehlt Lebensmittelmengen für die tägliche Ernährung, sodass auch im Jahr 2050 noch 10 Mrd. Menschen gesund und nachhaltig leben können, ohne dass die planetaren Ressourcen überstrapaziert werden. Auf das Gewicht bezogen, sollen 68 bis 74 % der Lebensmittel pflanzlich sein (Getränke werden nicht eingerechnet). Je nach regionaler Verfügbarkeit und landwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Laut der Nationalen Verzehrstudie 2 beträgt der Anteil pflanzlicher Lebensmittel auf das Gewicht bezogen in Deutschland zwischen 70 und 74 %. Was die Kalorienzufuhr betrifft, lautet die Empfehlung, 84 % der Kalorien aus pflanzlichen Nahrungsmitteln aufzunehmen. Weltweit liegt der Durchschnitt laut FAO (FAOSTAT) bereits bei 82 %, in Deutschland bei knapp 70 %. Das liegt unter anderem daran, dass die Planetary Health Diet pro Tag den Verzehr von 50 g Nüssen und 75 g Hülsenfrüchten empfiehlt. Dies entspräche mehr als 18 bzw. 27 kg pro Jahr und Kopf. Aktuell liegt der Verzehr von Nüssen und Hülsenfrüchten in Deutschland bei maximal 1 bis 2 kg pro Jahr und Kopf. Diese pflanzlichen Kalorien werden in der deutschen Ernährung daher anteilig mehr durch tierische Lebensmittel zugeführt.
Notorisch mehr pflanzenbasierte Ernährung zu fordern, ist aus den genannten Fakten weder per se nachhaltig (Flächen- und Wasserverbrauch im Ausland) noch spiegelt sie die natürlich gegebenen Rahmenbedingungen zur landwirtschaftlichen Erzeugung in Deutschland wider. Vorrangig sollten laut Planetary Health Diet wie erwähnt Lebensmittel verzehrt werden, die regional erzeugt werden können, ergänzt durch Importe. Dies bedeutet aufrund der mehr als ausreichenden Erzeugerkapazitäten für tierische Lebensmittel in Deutschland und nicht ausreichenden inländischen Erzeugerkapazitäten für pflanzliche Lebensmittel, dass ein Anteil pflanzlicher Kalorien unterhalb der Empfehlungen der Planetary Health Diet plausibel und vertretbar ist. Dennoch lassen sich mit den Empfehlungen der Planetary Health Diet Anpassungen vornehmen, die unsere Ernährung in Deutschland nachhaltig optimieren können.
Nachhaltige Ernährung in Deutschland bedeutet deshalb: Den Fleischverzehr halbieren, weniger hochverarbeitete Getreide- und Milchprodukte sowie Zucker essen und weniger abgefüllte Getränke trinken auf der einen Seite. Mehr Gemüse und Hülsenfrüchte essen sowie mehr Leitungswasser trinken auf der anderen Seite. Letztlich ist es allerdings nicht ausreichend, allein in Deutschland eine Anpassung der Ernährungsweise vorzunehmen. Solange die Nachfrage vor allem nach tierischen Lebensmitten weltweit zunehmen wird, setzt deutscher Konsumverzicht direkt Produktionskapazitäten für den Export in andere Weltregionen frei. Langfristig ist daher nur eine weltweite Anpassung des Lebensmittelkonsums anhand der allgemeinen Empfehlungen der Planetary Health Diet oder anderer wissenschaftlich basierter Empfehlungen im Rahmen der regionalen landwirtschaftlichen Bedingungen zielführend. Begleitet durch eine ideologiefreie Bevölkerungs- und Bildungspolitik, die das Bevölkerungswachstum entlang der planetaren Grenzen ausrichtet, sodass die Regenerationsfähigkeiten der Ökosysteme dieses Planeten nicht überlastet werden. Jede noch so mit Bedacht ausgeführte Anpassung der Ernährungsweise stößt ansonsten bei immer weiter wachsender Bevölkerungszahl an die Kapazitätsgrenzen der Umwelt - es ist nur eine Frage der Zeit.