Krefeld. Das vergangene Jahr stellte einen andauernden Ausnahmezustand dar. Standen 2020 und 2021 durch Corona und Klimawandel bedingte Extreme im milchwirtschaftlichen Mittelpunkt, so bestimmte der Ukrainekrieg und die damit einhergehenden Folgen das Jahr 2022. „Das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer funktionierenden heimischen Versorgung wurde geschärft und so auch die gesellschaftliche Akzeptanz erhöht“, so Hans Stöcker, Rheinischer Vorsitzender der Landesvereinigung der Milchwirtschaft NRW e. V. (LV Milch NRW), in der Jahrespressekonferenz.
Die Energiekrise und die EU-Klimaschutzziele werden die Milchwirtschaft im Jahr 2023 vor zusätzliche Herausforderungen stellen und zwingen zu einem schnelleren Handeln – sowohl in der Branche, als auch auf der politischen Ebene. Bisher kommen die Reaktionen für die systemrelevante Branche meistens zu spät, denn Milchwirtschaft geht nicht auf Knopfdruck. Das gilt auf der Ebene der Milcherzeugung, bei der Herden nicht von heute auf morgen auf- oder abgestockt werden können, aber auch für den Vertrieb, der von (zu) langen Vertragslaufzeiten im Groß- und Einzelhandel bestimmt wird. Die Schere zwischen Kosten und Vermarktungspreis geht weiter auseinander, da Energie-, Futter-, Dünger- und weitere Rohstoffkosten in immer kürzeren Abständen anziehen. Da helfen auch Rekordauszahlungspreise nur bedingt. Anpassungen müssen schneller gehen und politische Prozesse beschleunigt werden, wenn die deutsche Milchwirtschaft weiter im heimischen und europäischen Markt bestehen will und der Strukturwandel in der Branche verträglich gestaltet werden soll.
Mit einer hohen Kosten- und Inflationssituation ist für den Sektor auch in 2023 zu rechnen. Acht Milliarden Menschen leben auf der Welt und müssen ernährt werden. Klimaänderungen sind schon jetzt überall spürbar. Mehr Dürreperioden paaren sich mit mehr Flutereignissen. Auch deshalb wird die Rolle der regionalen Produktion wieder wichtiger. Der Nordwesten bleibt geografische Gunstregion – auch wenn tendenziell weniger Niederschlag zu verzeichnen ist. Hohe Standards im Bereich Tierwohl- und Klima sind hierzulande im Vergleich zu anderen Weltregionen messbar besser. Gleichzeitig ist es erklärtes Ziel der EU die Viehhaltung deutlich zu reduzieren. Was in Holland bereits Programm ist, ist in der Tendenz auch in Deutschland bereits spürbar. Die gesellschaftlichen und politischen Diskussionen um Natur-, Klima-, Insektenschutz, Tierwohl,
Kälberhaltung, bauliche Anpassungen etc. werden weitergehen und viele Kraftanstrengungen von Milcherzeugern und Molkereien verlangen. Die Branche ist bereit, diesen Weg mitzugehen. Die erheblichen Mehraufwendungen müssen jedoch entweder über den Milchpreis oder über gezielte Zahlungen ausgeglichen werden. Geschieht dies nicht, wird der Strukturwandel in der deutschen Milchwirtschaft noch schneller voranschreiten. Die Zukunftskommission muss hier Interessen ausgleichen und Lösungen finden, mit denen Milcherzeugung krisenfest, nachhaltig und auskömmlich für die Landwirtschaft gestaltet werden kann. „In dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe benötigen wir eine ehrliche Diskussion, um einen verlässlichen Rahmen für alle zu schaffen“ so Benedikt Langemeyer, der Westfälische Vorsitzende der LV Milch NRW.
NRW-Milchmarkt kompakt
Die in NRW konventionell erzeugte Milchmenge (Jan.-Okt. 2022) ist im Vergleich zum Vorjahr um 0,2% angestiegen und bewegt sich damit konträr zur Bundesebene (-1,3%). Die Verbraucherpreise für Milchprodukte haben alle kräftig angezogen. Das ganze Jahr über durchgehend wurde an der Börse geformte Butter über Vorjahr notiert. Bei Magermilchpulver waren die Notierungen bis einschließlich Oktober über dem Vorjahr, zum Jahresende hin ist eine Abschwächung festzustellen. Für den Verbraucher lagen die Preise für Butter (250 g, als Handelsmarke) mit 43% deutlich über dem Vorjahresniveau, also pro Päckchen im Schnitt bei 2,13 € (Jan.-Okt. 2022). Der Absatz von Milch und Käse ist in Deutschland in 2022 (Jan.-Okt.) über das gesamte Sortiment der weißen und gelben Linie merklich zurückgegangen. Ein Zuwachs ist lediglich und zum wiederholten Male in starkem Umfang bei Weidemilch (+38,5%) zu verzeichnen. Der Auszahlungspreis liegt im Zeitraum Januar bis Oktober in NRW im Jahr 2022 bei 50,05 Cent pro kg konventioneller Milch (4,0% Fett/3,4 % Eiweiß) und weist somit ein Plus von 46,0% bzw. 15,77 Cent/kg gegenüber dem Vorjahr aus.